Lebensbilder – Phantombilder
2. Sitzung der AG Geschlechterforschung auf dem Gesamtdeutschen Archäologen-Kongress in Frankfurt (Oder) vom 4.4. bis 8.4.2005
Am 7. April 2005 fand zum zweiten Mal die AG Geschlechterforschung auf einem der Archäologentage statt.
Wie bereits bei der ersten Sitzung vor zwei Jahren stieß die AG auf ein recht großes allgemeines Interesse, das für einen gut gefüllten Veranstaltungsraum sorgte.
Die Sitzung fand unter dem Titel „Lebensbilder – Phantombilder. Darstellung von Geschlechterrollen in der Archäologie“ statt. Es sollten verschiedene archäologische Lebensbilder beleuchtet werden, die oft als Projektionsflächen für unausgesprochene Vorstellungen der Forschenden dienen. Diese Vorstellungen entspringen häufig der persönlichen Gegenwart und werden unreflektiert (meist auch unbewusst) in die prähistorische Umwelt und wieder zurück ins Heute transportiert. Die Anschaulichkeit von Bildern sorgt für eine eingängige Vorstellung über das Leben in der Vergangenheit. Diese Bilder werden zu Illustrationszwecken von vielen Medien wiederholt aufgegriffen und verbreitet.
Die 2. Sitzung der AG Geschlechterforschung fokussierte nun den Bereich der Darstellungen von Geschlechterrollen und -verhältnissen in der Archäologie. Deshalb wurden Printmedien, filmische und museale Inszenierungen beleuchtet und auch das Rollenverständnis fiktiver und historischer Archäologinnen und Archäologen unter die Lupe genommen.
Gisela Schulte-Dornberg führte mit ihrem Beitrag über die Konstruktion von Körperbildern und den daraus abgeleiteten Rollenbildern in der Philosophie von der Antike bis zur Neuzeit in das Gesamtthema ein. Zudem stellte sie die Wechselwirkung zwischen Philosophie und den Naturwissenschaften heraus. Beide Wissenschaften benutz(t)en sich gegenseitig, um mal die eine Tatsache vorzugeben und ein anderes Mal eine Rolle nachzuweisen.
Im zweiten Vortrag legte Uta Halle anhand eisenzeitlicher Funde von Trachtbestandteilen dar, wie Forschende ihre eigenen Rollenbilder reproduzieren. Dabei halten bei diesen Konstruktionen weder die archäologischen Funde und Befunde noch die aufgestellten Hypothesen einer Überprüfung stand.
Katja Allinger unterzog in ihrem Beitrag die Abbildungen wissenschaftlicher Publikationen einer Analyse. Im Zentrum standen hier die stereotypen Genderrollen in Publikationen über das Paläolithikum und deren Wirkung auf die LeserInnen. Gleichzeitig untersuchte sie, wie den blinden Flecken bezüglich frauendiskriminierender Darstellung von Geschlechterrollen entgegengewirkt werden kann.
Illustrationen im Museum und im schulischen Bereich wurden von Marion Kanczok und Miriam Sénécheau behandelt. Für den musealen Sektor schilderte Marion Kanczok am Beispiel des 1996 neu errichteten Neanderthal Museums den Versuch, Genderrollen frei von Stereotypen darzustellen. Gleichzeitig wies sie aber auf Stellen hin, an denen die Illustration dem alten Muster verhaftet blieb. Miriam Sénécheau stellte in ihrer Analyse von Bildern in Schulbüchern die Potenzierung von Klischees in Bezug auf Geschlechterrollen heraus. Hier werden nicht nur Bilder (und Klischees) reihenweise reproduziert, die stereotypen Rollenbilder werden durch die Texte noch verstärkt. Gegenüber den sonst üblichen stereotypen Bildern fallen die Darstellungen aus dem Neanderthal Museum positiv auf.
Fiktive Frauen- und ArchäologInnenbilder wurden von Silke Gyadu und Corinna Endlich beleuchtet. Aus ihrer eigenen Erfahrung als Autorin zur Entstehung eines Frauenbildes einer Epoche vermittelte Silke Gyadu ein Bild über die gesellschaftliche Stellung altägyptischer Frauen. Zudem zeigte sie, welch unterschiedliche Interpretation von Frauengestalten auf Kunstwerken und Statuetten möglich sein kann.
Corinna Endlich sprach von der parallelen Darstellung von Frauenlebensbildern und Archäologinnen. Beide werden in untergeordneten Positionen oder an Nebenschauplätzen gezeigt und bedienen die Klischees. Anhand der Figuren Lara Croft und Indiana Jones demonstrierte Endlich sehr anschaulich die unterschiedlichen Perspektiven männlicher und weiblicher Archäologen. Während Frauen als „menschliches Beiwerk“ (zu männlichen Archäologen) erscheinen und grundsätzlich durch unpassende (Nachthemd, fehlende Schuhe) oder auf Sexappeal ausgerichtete Kleidung (sommerliche Kleidung in Permafrostregionen) glänzen, werden Männer immer als kompetente Entscheidungsträger (natürlich in situationsgerechter Bekleidung und Ausrüstung) gezeigt.
Im letzten Beitrag stellte Matthias Recke den Lebenslauf der Archäologin Margarete Bieber vor. Sehr deutlich schilderte er die geschlechtsspezifischen Diskriminierungen, denen Frauen in der Wissenschaft im 20. Jahrhundert ausgesetzt waren.
Mit dem letzten Beitrag schloss sich der Kreis zum einleitenden Vortrag, in dem gezeigt wurde, wie philosophische und naturwissenschaftliche Vorstellungen des Körpers den Ausschluss von Frauen aus der Wissenschaft begründeten.
In der regen Schlussdiskussion wurde hervorgehoben, dass neben der Analyse von Geschlechterstereotypen die Suche nach alternativen Darstellungen in der Archäologie genauso wichtig ist. Deshalb wurde als Thema für eine der kommenden Tagungen vorgeschlagen, Alternativmodelle vorzustellen. Diese Modelle sollen sich nicht nur auf Rollen von Frauen und Männern beschränken, sondern auf Kinder, alte Menschen und Randgruppen ausgeweitet werden.
Die nächste Tagung der AG Geschlechterforschung in zwei Jahren soll sich mit der Methodik der Geschlechterforschung auseinandersetzen und dabei die Möglichkeiten naturwissenschaftlicher Analyse von Geschlechterdifferenzen einbeziehen.
Ein weiterer Diskussionspunkt war die Verbreitung der Erkenntnisse aus der AG Geschlechterforschung in andere Sektionen der Archäologenverbände hinein. Dazu wurde angeregt, bei der nächsten Verbandstagung zum Thema „Migration und Kontakte“ Vorträge unter dem Gesichtspunkt der Genderrollen in den jeweiligen Sektionen zu halten.
Für den Archäologentag in Frankfurt (Oder) wurde das nahezu vollständige Fehlen einer Meta-Ebene bemängelt, mit Ausnahme der Sektionen der wissenschaftshistorischen Forschung und der Genderforschung. Um dem abzuhelfen, soll für den nächsten Archäologentag eine gemeinsame Schlussveranstaltung mit Zusammenfassungen der einzelnen Sektionen angeregt werden.
Jana Esther Fries und Ulrike Rambuscheck wurden als Sprecherinnen der AG Geschlechterforschung bestätigt bzw. neu gewählt.
Marion Kanczok und Gisela Schulte-Dornberg
Die Beiträge sind in Band 7 der Reihe „Frauen – Forschung – Archäologie“ unter dem Titel ,,Science oder Fiction?“ 2007 erschienen.