Genderrollen in der Situlenkunst
Autorin: Clara Schaller, Datum: 26.06.2020
Die hier zusammengefassten Untersuchungen sind das Ergebnis meiner 2018 an der LMU bei Prof. Dr. Carola Metzner-Nebelsick eingereichten Masterarbeit. Eine überarbeitete Fassung wurde 2019 publiziert.
Die Situlenkunst der späten Hallstatt- und frühen Latènezeit ist ein Thema, das in der Forschung bereits seit langer Zeit ausführlich diskutiert wird und eine der wenigen narrativen Darstellungsarten in dieser Zeit. Sie zeigt Männer und Frauen bei verschiedensten Tätigkeiten. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern die Darstellungen von Rollenbildern in der Situlenkunst mit der tatsächlichen Lebenswelt der damaligen Menschen übereinstimmen.
Eine Analyse der verschiedenen Rollen ergibt zunächst ein sehr klares Bild. Betrachtet man die nackt dargestellten Figuren, so sind weibliche Geschlechtsmerkmale immer bei Figuren mit einem Schleier und männliche Geschlechtsmerkmale immer bei Figuren mit Hüten oder Glatzen zu finden. Es scheint sich somit um eine binäre Auffassung von Geschlecht zu handeln, wobei die Figuren in der Situlenkunst hauptsächlich über die unterschiedliche Haartracht bzw. Kopfbedeckung identifizierbar sind. Männer werden dabei bei der Zubereitung von Getränken oder beim Räuchern, beim Trinken, Führen und Reiten von Pferden, beim Faustkampf, Wagenfahren, Pflügen, Fischen, Tragen von Rädern, bei der Versorgung und beim Opfern von Tieren sowie als Musiker, Gefangene, Krieger oder Kämpfende und Kinder dargestellt. Frauen treten beim Spinnen, Weben, Waschen von Füßen, beim Tragen von Schlüsseln sowie als Gebärende und Hebammen auf. Überschneidungen gibt es nur wenige, nämlich beim Ausschenken von Getränken, beim Sex, als Tragende von Gefäßen oder Objekten sowie als Gehende oder Begleitfiguren. Die Zahl der Rollen (und der Darstellungen) von Männern ist damit deutlich höher als die der Frauen.
Der Stil der Situlenkunst verbindet unterschiedliche Kulturgruppen. Auffällig ist dabei, dass sich in der Auswahl der verschiedenen Rollen regionale Unterschiede abzeichnen. Spinnende und webende Frauen etwa fehlen außerhalb Italiens in der Situlenkunst vollständig. Auch die Auswahl der Objekte, die mit Situlenkunst verziert werden, wie unterschiedliche Gefäße, Trachtbestandteile und Waffen, unterscheidet sich.
Wirft man nun einen Blick auf die Grabfunde, wird das Bild noch unklarer. Einige Rollen scheinen hier weitaus weniger geschlechtsspezifisch aufgeteilt, werden gar nicht abgebildet oder finden sich in der Situlenkunst nicht wieder. Auch in anderen gleichzeitigen Kunstäußerungen im Situlenkreis und angrenzender Regionen, etwa Figürchen, Steinplastik und Keramikdekor, zeichnen sich zum Teil Rollenbilder ab, die in der Situlenkunst nicht vorkommen und umgekehrt. Insgesamt scheinen sie sehr viel stärker dem regionalen Geschmack unterworfen zu sein. Mit einem Blick auf Fallbeispiele werden mögliche Gründe für diese Diskrepanzen deutlich.
In den Gräberfeldern von Novo mesto und Magdalenska gora im slowenischen Dolenjsko scheint sich eine Elitengruppe abzuzeichnen, die die Situlenkunst nutzte, um ein bestimmtes Bild von sich nach außen zu transportieren und ihre eigene Ideologie zu verbreiten. Wie die reichen Gräber von Frauen mit sogenannten Zeptern zeigen, existierten daneben aber zumindest zeitweise auch Gruppen, die sich in einer anderen Rolle mit anderen Statussymbolen darstellten.
Im Heiligtum von Mechel in Trento, Italien finden sich zu Votivblechen umfunktionierte Ausschnitte aus Situlenkunst. Dabei wurde eine sehr enge Auswahl an Motiven getroffen, durch die hier auch nur Männer als Nutzer des Platzes repräsentiert wurden. Andere Fundstücke machen aber gleichzeitig die Anwesenheit von Frauen wahrscheinlich.
Es zeigt sich damit, dass es sich bei der Situlenkunst keineswegs um einfache und objektive Lebensbilder handelt. Vielmehr ist sie als ein Instrument zur Selbstdarstellung einzelner Gruppen zu verstehen. Aufgrund des einheitlichen Stils konnten sich diese lokalen Gruppen dabei in einen größeren Kontext, eine Art überregionale Elite einordnen. Durch den Gebrauch von Situlenkunst als ein Statussymbol konnten sie ihre Ideologie gegen andere Elitengruppen durchsetzen.
Publikation:
Clara Schaller, Genderrollen in der Situlenkunst. Mit Schwerpunkt auf den Beispielen aus der Region Dolenjsko sowie von den alpinen Brandopferplätzen. Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 337 (Bonn 2019).

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