Rezension: Katharina Wesselmann, Die abgetrennte Zunge. Sex und Macht in der Antike neu lesen.

 Autorin: Ulri­ke Ram­bu­scheck, Datum: 02.10.2023

Katha­ri­na Wes­sel­mann, Die abge­trenn­te Zun­ge. Sex und Macht in der Anti­ke neu lesen. wbg Theiss (Darm­stadt 2021). 223 Sei­ten, 13 Abbil­dun­gen.

Was haben Incels und Rap­per mit der Anti­ke zu tun? Eini­ge ihrer miso­gy­nen Äuße­run­gen und gewalt­tä­ti­gen Inhal­te haben ihre Wur­zeln in der anti­ken Lite­ra­tur. Die Par­al­le­len zu eini­gen Dich­tern wie Catull oder Ovid sind so auf­fäl­lig, dass man mei­nen könn­te, sie hät­ten sie gele­sen, was aber eher unwahr­schein­lich ist. Wie kommt es dann zu die­sen frap­pie­ren­den Ähn­lich­kei­ten? Hin­ter die­ses Geheim­nis nimmt uns die Alt­phi­lo­lo­gin Katha­ri­na Wes­sel­mann mit auf eine lite­ra­ri­sche Rei­se in die Anti­ke. In neun Kapi­teln wird von einem aktu­el­len miso­gy­nen Ereig­nis der Gegen­wart aus nach den anti­ken Wur­zeln die­ses Phä­no­mens gefahn­det. Dies ist sehr erstaun­lich, da wir doch meis­tens davon aus­ge­hen, dass die Anti­ke die Wie­ge von so posi­ti­ven Sachen wie Demo­kra­tie, Phi­lo­so­phie oder Recht­spre­chung ist, von der unse­re abend­län­di­sche Kul­tur bis heu­te tief beein­flusst ist. Doch die Anti­ke ist auch die Wie­ge des Patri­ar­chats, der Miso­gy­nie und der Gewalt gegen Frau­en und alle Men­schen, die kei­ne männ­li­chen Bür­ger waren. Die­sen Bogen von der Anti­ke zu Phä­no­me­nen unse­rer heu­ti­gen west­li­chen Welt zu schla­gen, macht für mich den Reiz des Buches aus. Plötz­lich erschei­nen auch so unschul­di­ge Din­ge wie Vasen­ma­le­rei­en in einem ganz neu­en Licht.
Die Band­brei­te der The­men reicht von „Erzähl­te Frau­en“, bei dem Frau­en aus einer männ­li­chen Per­spek­ti­ve beschrie­ben wer­den, über die Dar­stel­lung von mäch­ti­gen Frau­en, die in der Öffent­lich­keit stan­den, bis zu den häss­li­chen Frau­en, die nicht ins anti­ke Schön­heits­ide­al pass­ten. Wei­te­re Kapi­tel beschäf­ti­gen sich mit den Grau­sam­kei­ten gegen Frau­en, denen wir in den Mythen begeg­nen, wie Ver­ge­wal­ti­gun­gen und ver­such­te sexu­el­le Über­grif­fe, sowie mit Ver­ge­wal­ti­gun­gen in der Ehe, wie sie aus Komö­di­en (!) bekannt sind. In einem Kapi­tel wird auf Män­ner als Opfer ein­ge­gan­gen, denn nur erwach­se­ne freie Bür­ger waren sicher vor sexu­el­ler Gewalt, für Skla­ven oder sehr jun­ge Män­ner galt dies häu­fig nicht. In einem wei­te­ren Kapi­tel wird die latei­ni­sche Lie­bes­ele­gie vor­ge­stellt und wie sie bis heu­te unse­re Vor­stel­lun­gen von geglück­ten Lie­bes­be­zie­hun­gen beein­flusst, meis­tens mit eher nega­ti­ven Fol­gen für die Frau­en. Damit eng ver­bun­den ist die Idee der roman­ti­schen Lie­be in der anti­ken Lite­ra­tur und ihre fata­len Aus­wir­kun­gen auf Frau­en. In einem Kapi­tel wird auf die Obs­zö­ni­tät und Gewalt­ver­herr­li­chung von eini­gen Gedich­ten Catulls und sei­ner Dich­ter­kol­le­gen ein­ge­gan­gen.
Dür­fen sol­che Tex­te heu­te noch gele­sen wer­den? Die Autorin sagt ganz klar Ja, aber sie müs­sen kon­tex­tua­li­siert wer­den. Dann kön­nen sie uns viel über die anti­ken Struk­tu­ren und Macht­ver­hält­nis­se sagen und dar­über hin­aus auch Phä­no­me­ne unse­rer eige­nen Gegen­wart bes­ser ver­ste­hen hel­fen, deren Ursprün­ge in der Anti­ke lie­gen. Des­halb kann ich das Buch allen emp­feh­len, die an sol­chen Lini­en zwi­schen Anti­ke und Gegen­wart inter­es­siert sind. Das Buch ist flüs­sig und span­nend geschrie­ben. Es basiert auf einer Vor­le­sung an der Chris­ti­an-Albrechts-Uni­ver­si­tät zu Kiel, wo die Autorin Pro­fes­so­rin für Fach­di­dak­tik der Alten Spra­chen ist. Den­noch ist es für ein brei­te­res Publi­kum geeig­net. Abge­run­det wird es durch ein Regis­ter der im Text genann­ten anti­ken Autor*innen (Sap­pho ist die ein­zi­ge Dich­te­rin) mit ihren Lebens­da­ten sowie die Biblio­gra­fie.

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