Fundstück: TV-Beitrag zu Neanderthalern

Fundstück: TV-Beitrag zu Neanderthalern

Fundstück: TV-Beitrag zu Neanderthalern

Autorin: Son­ja Grimm, Datum: 27.01.2021

 

TV-Doku­men­tar­fil­me zur Archäo­lo­gie sind zahl­reich und so ver­geht kaum ein Tag, an dem man nicht etwas zu unse­ren Vor­fah­ren im Pro­gramm fin­det. Neben Wikin­gern, Römern und dem alten Ägyp­ten sind oft auch Vor­men­schen, ins­be­son­de­re Nean­der­tha­ler* The­ma. Der Schwer­punkt wie auch die Qua­li­tät der Infor­ma­tio­nen sind dabei sehr unter­schied­lich.

Der Sen­der Arte zeig­te am 10. Okto­ber 2020 die fran­zö­si­sche Doku­men­ta­ti­on „Der Nean­der­ta­ler – Auf den Spu­ren unse­rer Vor­fah­ren“ (À la ren­cont­re de Néan­der­tal, 2019), die unter ande­rem von dem fran­zö­si­schen Natio­nal­in­sti­tut für prä­ven­ti­ve, archäo­lo­gi­sche For­schung (INRAP) mit­pro­du­ziert wur­de. Die Betei­li­gung spie­gel­te sich in der Aktua­li­tät und Qua­li­tät der Gra­bungs- und For­schungs­er­geb­nis­se durch­aus wider, eben­so wie in der Schwer­punkt­set­zung auf aktu­el­le fran­zö­si­sche und bri­ti­sche Ergeb­nis­se. Eine Zuschaue­rin mach­te Fem­Arc den­noch auf den Bei­trag auf­merk­sam, da sie sich neben einer feh­len­den gen­der­ge­rech­ten Spra­che und einer sehr mas­ku­lin fokus­sier­ten Dar­stel­lung von Nean­der­tha­lern wie auch Archäo­lo­gen über Aus­sa­gen zum Tausch von Frau­en empör­te.

So herrsch­te unter den ange­führ­ten Exper­tin­nen** ein deut­li­ches Miss­ver­hält­nis von zwei Frau­en zu zehn Män­nern. Auch dass Bec­cy Scott vom Bri­tish Muse­um mehr Rede­zeit ein­ge­räumt wur­de als ande­ren, hebt die­se männ­li­che Domi­nanz nicht auf. Zudem wur­de in der deut­schen Syn­chron­fas­sung im Sin­gluar immer von „dem Nean­der­tha­ler“ gespro­chen und bei den plas­ti­schen Rekon­struk­tio­nen wur­den ein­zig die männ­li­chen Dar­stel­lun­gen, nicht aber Frau­en und Kin­der gezeigt, die es sehr wohl gibt. Aller­dings wur­den auch die Bil­der des bekann­ten Rekon­struk­ti­ons­zeich­ners Gil­les Tosel­lo genutzt, die oft gan­ze Fami­li­en zei­gen.

Aber wirk­lich die Spra­che hat es mir (wie schon der Zuschaue­rin) ver­schla­gen, als ein wirk­lich unnö­ti­ges Bei­spiel zum Frau­en­han­del ange­führt wur­de. Der wis­sen­schaft­li­che Hin­ter­grund der Aus­sa­gen ist fol­gen­der: In der nord­spa­ni­schen Fund­stel­le El Sidron wur­den 13, etwa 49.000 Jah­re alte Ske­let­te von Nean­der­tha­le­rin­nen und Nean­der­tha­lern gebor­gen. Unter­su­chun­gen an der über die Mut­ter­li­nie über­tra­ge­nen DNS (mtDNA) von zwölf die­ser Indi­vi­du­en zeig­ten, dass die männ­li­chen Nean­der­tha­ler mit­ein­an­der ver­wandt waren und somit aus einer Fami­lie stamm­ten, die Frau­en dage­gen aus ver­schie­de­nen ande­ren Grup­pen. Dies deu­te­ten die For­sche­rin­nen** um Carles Lalue­za-Fox als Patri­lo­ka­li­tät die­ser Grup­pen oder wie der Kol­le­ge Pas­cal Depae­pe es in der Doku­men­ta­ti­on zunächst sehr nüch­tern for­mu­lier­te: Die Frau­en wech­sel­ten die Grup­pen. Aus der Eth­no­gra­phie und ver­schie­de­nen his­to­ri­schen Wildbeuterinnen**-Gruppen ken­nen wir dazu eben­so Bei­spie­le wie aus unse­rer neu­zeit­li­chen Geschich­te.

Lei­der wur­de die­ser sach­li­chen Beschrei­bung noch die vom Kol­le­gen Ludo­vic Sli­mak for­mu­lier­te, nicht beleg­ba­re Aus­ma­lung der Situa­ti­on hin­zu­ge­stellt, dass man sich das Gan­ze als Frau­en­han­del vor­stel­len kön­ne nach dem Mot­to: „Gibst du mir dei­ne Toch­ter, gebe ich dir mei­ne Schwes­ter.“ Eine sol­che Pro­jek­ti­on sagt mehr über die Vor­stel­lun­gen des fran­zö­si­schen Kol­le­gen und sei­ner Hal­tung zu Frau­en aus als über das Ver­hal­ten des Homo nean­der­tha­len­sis. Bedau­er­li­cher­wei­se fan­den auch die Regis­seu­re es not­wen­dig, eine sol­che männ­li­che Besitz­fan­ta­sie mit unse­ren Vor­fah­ren in Ver­bin­dung zu brin­gen, statt ein­fach die wis­sen­schaft­li­che Aus­sa­ge Depae­pes ste­hen zu las­sen.

Wie Nean­der­tha­ler sozia­le Geschlech­ter kon­stru­ier­ten und die­se wie bio­lo­gi­sche Geschlech­ter bewer­te­ten, kön­nen wir archäo­lo­gisch nicht nach­wei­sen. Ein reflek­tier­tes und breit auf­ge­stell­tes Bild der aktu­el­len For­schung zu die­ser aus­ge­stor­be­nen Men­schen­art, ein­schließ­lich der bis­her bekann­ten Unter­schie­de zwi­schen den bio­lo­gi­schen Geschlech­tern (S. 65–70), kann man in dem lei­der bis­her nur auf Eng­lisch zu erhal­te­nen, popu­lär­wis­sen­schaft­lich geschrie­be­nen Buch „Kind­red. Nean­der­thal life, love, death and art“ von der aus­ge­wie­se­nen Exper­tin Rebec­ca Wragg Sykes erhal­ten.

 

* Der Duden sagt, Nean­der­tha­ler sei nach der neu­en Recht­schrei­bung des Nean­der­tals ohne h zu schrei­ben. Da es sich jedoch um einen wis­sen­schaft­li­chen Namen (Homo nean­der­tha­len­sis, 1864) han­delt, soll­te nach Ansicht vie­ler For­sche­rin­nen** die­ser inter­na­tio­nal aner­kann­ten Bezeich­nung der Men­schen­art Vor­rang gege­ben wer­den. Anders aus­ge­drückt: Nean­der­ta­ler sind moder­ne Men­schen, die im Nean­der­tal bei Mett­mann woh­nen, woge­gen Nean­der­tha­ler Ver­tre­ter einer aus­ge­stor­be­nen Men­schen­art sind, die zeit­wei­se auch im Nean­der­tal leb­ten.

**Gene­ri­sches Femi­ni­num.

 

Lite­ra­tur­zi­ta­te:

Lalue­za-Fox, C., Rosas, A., Est­alrrich, A., Gig­li, E., Cam­pos, P. F., Gar­cía-Taber­ne­ro, A., Gar­cía-Var­gas, S., Sán­chez-Quin­to, F., Ramí­rez, O., Civit, S., Bas­tir, M., Huguet, R., San­ta­ma­ría, D., Gil­bert, M. T. P., Wil­lers­lev, E., de la Ras­il­la, M. (2011). Gene­tic evi­dence for patri­lo­cal mating beha­vi­or among Nean­der­tal groups. Pro­cee­dings of the Natio­nal Aca­de­my of Sci­en­ces (PNAS) 108(1), 250–253.

Wragg Sykes, R. (2020). Kind­red. Nean­der­thal life, love, death and art. Bloomsbu­ry Sig­ma (Lon­don).

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Literatur 2020

Literatur 2020

Literatur 2020

Autorin: Fem­Arc-Redak­ti­on, Datum: 29.12.2020

 

Ur- und Früh­ge­schich­te

Lau­ra Mara­vall Buckwalter/Joerg Baten: Val­ky­ries: Was gen­der equa­li­ty high in the Scan­di­na­vi­an peri­phery sin­ce Viking times? Evi­dence from ena­mel hypop­la­sia and height rati­os. Eco­no­mics and Human Bio­lo­gy, 34 (2019) 181–193. https://doi.org/10.1016/j.ehb.2019.05.007

Nadia Maria El Cheikh, Vio­lence against Women in the Ear­ly Isla­mic Peri­od. In: Matthew Gordon/Richard Kaeuper/Harriet Zurn­dor­fer (Eds), The Cam­bridge World Histo­ry of Vio­lence 2: AD 500–AD 1500 (Cam­bridge 2020) 313–329.  https://doi.org/10.1017/9781316661291

The Role of Women in Pre­his­to­ric and Tri­bal Socie­ties, Part II, Expres­si­on 27, March 2020. https://drive.google.com/file/d/1xeeSkIX4vWOWUHUQphOgFiRHmooLlvOS/view

(Hin­weis von Frie­de­ri­ke Jes­se)

Jani­ne Fries-Knob­lach, Ein Glas in Ehren kann nie­mand ver­weh­ren? Bei­spie­le für Alko­hol in der Lebens­welt von Frau­en in alten Kul­tu­ren Euro­pas und des Nahen Ostens. In: Phil­ipp W. Stockhammer/Janine Fries-Knob­lach (Hrsg.), In die Töp­fe geschaut. Bio­che­mi­sche und kul­tur­ge­schicht­li­che Stu­di­en zum früh­ei­sen­zeit­li­chen Essen und Trin­ken. BEFIM 2 (Lei­den 2019) 235–364.

Maga­li Cou­mert, Archaeo­lo­gy vs Writ­ten Sources: The Case of Gothic Women. In: Susan­ne Brat­her-Wal­ter (Hrsg.), Archaeo­lo­gy, histo­ry and bio­sci­en­ces. Ergän­zungs­bän­de zum Real­le­xi­kon der Ger­ma­ni­schen Alter­tums­kun­de 107 (Ber­lin, Bos­ton 2019) 163–180. DOI: https://doi.org/10.1515/9783110616651

Fran­cis­co Mar­tí­nez-Sevil­la u.a., Who pain­ted that? The aut­hor­ship of Sche­ma­tic rock art at the Los Machos rock­shel­ter in sou­thern Ibe­ria. Anti­qui­ty 94/377, Octo­ber 2020, 1133–1151. DOI: https://doi.org/10.15184/aqy.2020.140

Anti­ke

Astrid Schmöl­zer, Göt­tin­nen der Ger­ma­nia Infe­ri­or. Neue archäo­lo­gi­sche Unter­su­chun­gen zur Iko­no­gra­phie der Matro­nen (Graz 2020).

Sascha Kan­stei­ner, Geschlechts­wech­sel in der anti­ken Skulp­tur, Archäo­lo­gi­scher Anzei­ger 1, 2019, 27 Sei­ten. https://doi.org/10.34780/agfh-kq10, urn:nbn:de:0048-journals.aa-2019–1‑Kansteiner.5

Tatia­na Ivlevaand/Rob Coll­ins (Eds), Un-Roman Sex. Gen­der, Sexua­li­ty, and Love­ma­king in the Roman Pro­vin­ces and Fron­tiers (Abing­don-on-Tha­mes 2020).

Vor­der­asia­ti­sche Archäo­lo­gie

Ste­fan Nowi­cki, Women in Ear­ly Meso­po­ta­mi­an Roy­al Inscrip­ti­ons. http://www.asor.org/anetoday/2020/07/women-mesopotamia-inscriptions

Gre­ta Van Buylae­re, The Decli­ne of Fema­le Pro­fes­sio­nals – and the Rise of the Witch – in the Second and Ear­ly First Mill­en­ni­um BCE. Magic, Ritu­al, and Witch­craft, Volu­me 14, Num­ber 1, Spring 2019, 37–61.

Gre­ta Van Buylae­re, #MeToo-pota­mia (or sys­te­mic gen­der ine­qua­li­ty in Meso­po­ta­mia). http://www.asor.org/anetoday/2020/09/metoo-potamia

Theo­rie

Jana Esther Fries/Doris Guts­miedl-Schüm­ann, Femi­nist archaeo­lo­gies and gen­der stu­dies. In: Andrew Gardner/Mark Lake/Ulrike Som­mer (Hrsg.), The Oxford Hand­book of Archaeo­lo­gi­cal Theo­ry. DOI: 10.1093/oxfordhb/9780199567942.013.037, online publi­ziert Juli 2020.

Bri­git­te Röder, Zwei­er­lei Maß – nicht nur beim Alko­hol. Geschlech­ter­kli­schees bei der Inter­pre­ta­ti­on eisen­zeit­li­cher Prunk­grä­ber. In: Phil­ipp W. Stockhammer/Janine Fries-Knob­lach (Hrsg.), In die Töp­fe geschaut. Bio­che­mi­sche und kul­tur­ge­schicht­li­che Stu­di­en zum früh­ei­sen­zeit­li­chen Essen und Trin­ken. BEFIM 2 (Lei­den 2019) 365–387.

Bri­git­te Röder, Beu­te­jä­ger und Nest­hü­te­rin – trü­ge­ri­sche Ori­en­tie­rung an einem stein­zeit­li­chen Traum­paar. In: Bar­ba­ra Rend­torff, Clau­dia Mahs, Anne-Doro­thee War­muth (Hrsg.), Geschlech­ter­ver­wir­run­gen. Was wir wis­sen, was wir glau­ben und was nicht stimmt (Frank­furt / New York 2020) 69–76.

Mol, Eva/Lodwick, Lisa (Hrsg.), AIAC-Round Table Dis­cus­sion. Diver­si­ty in the Past, Diver­si­ty in the Pre­sent? Issues of Gen­der, Whiten­ess, and Class in ‘Clas­si­cal’ Archaeo­lo­gy: Panel 12.10, Hei­del­berg: Pro­py­lae­um, 2020 (Archaeo­lo­gy and Eco­no­my in the Anci­ent World – Pro­cee­dings of the 19th Inter­na­tio­nal Con­gress of Clas­si­cal Archaeo­lo­gy, Cologne/Bonn 2018, Band 52). https://doi.org/10.11588/propylaeum.570

Sian Bea­vers, The Repre­sen­ta­ti­on of Women in Ryse: Son of Rome. In: Chris­ti­an Rol­lin­ger (Hrsg.), Clas­si­cal anti­qui­ty in video games. Play­ing with the anci­ent world (Lon­don 2020) 77–90.

Blogs

https://www.gender-blog.de (Sek­ti­on Frau­en- und Geschlech­ter­for­schung der Deut­schen Gesell­schaft für Sozio­lo­gie)

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Blogparade #femaleheritage

Blogparade #femaleheritage

Autorin: Fem­Arc-Redak­ti­on, Datum: 15.12.2020

 

Auf dem Blog der Münch­ner Stadt­bi­blio­thek wur­de dazu auf­ge­ru­fen, sich mit Bei­trä­gen zu Frau­en und Erin­ne­rungs­kul­tur an der Blog­pa­ra­de #fema­le­he­ri­ta­ge zu betei­li­gen. Vom 11.11. – 09.12.2020 konn­ten Bei­trä­ge ein­ge­reicht wer­den. Neben einem Ein­trag von Fem­Arc (Nr. 20) fin­den sich zwei wei­te­re Arti­kel, die sich mit Archäo­lo­gie und Frau­en beschäf­ti­gen:

Nr. 80 Kros­worl­dia: „#fema­le­he­ri­ta­ge? Frau­en in Archäo­lo­gie und Geschichts­wis­sen­schaft“ (28.11.2020) // @Kristin_Oswald

https://kristinoswald.hypotheses.org/3245

Nr. 138 Staat­li­ches Muse­um Ägyp­ti­scher Kunst: „Satdje­huti“ (8.12.2020) // @smaek_muc

https://smaek.de/news/blogparade-femaleheritage/

Nach dem gro­ßen Erfolg geht die Blog­pa­ra­de in die Ver­län­ge­rung. Alle Bei­trä­ge unter https://blog.muenchner-stadtbibliothek.de/frauen-und-erinnerungskultur-blogparade-femaleheritage/ (etwas run­ter­scrol­len!).

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Die amerikanische Archäologin Harriet Boyd Hawes (1871–1945)

Die amerikanische Archäologin Harriet Boyd Hawes (1871–1945)

Autorin: Ulri­ke Ram­bu­scheck, Datum: 13.11.2020

 

In den ver­schie­de­nen Dis­zi­pli­nen, die alle unter dem Ter­mi­nus Archäo­lo­gie zusam­men­ge­fasst wer­den kön­nen (u. a. Ur- und Früh­ge­schich­te, Klas­si­sche Archäo­lo­gie, Ägyp­to­lo­gie), stu­die­ren mehr Frau­en als Män­ner. Den­noch beklei­den männ­li­che Archäo­lo­gen bis heu­te die höchs­ten Stel­len im Fach Archäo­lo­gie. Dies gilt beson­ders für Uni­ver­si­tä­ten und For­schungs­ein­rich­tun­gen, aber auch für Boden­denk­mal­äm­ter. Nur in Muse­en scheint sich lang­sam eine Trend­wen­de abzu­zeich­nen. Beson­ders in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung wird Archäo­lo­gie mit Män­nern asso­zi­iert: Publi­kums­wirk­sa­me Fil­me in Kino und Fern­se­hen, Video­spie­le und popu­lär­wis­sen­schaft­li­che Bücher ver­mit­teln einen Ein­druck archäo­lo­gi­scher Arbeit, die sich haupt­säch­lich auf Aus­gra­bun­gen abspielt, wo mehr­heit­lich Archäo­lo­gen agie­ren. Ein Mit­tel, die­ses Bild zu kor­ri­gie­ren, ist, die Pio­nie­rin­nen des Fachs, die his­to­ri­schen Archäo­lo­gin­nen, zu wür­di­gen.

Als ein Bei­spiel für vie­le soll die Aus­grä­be­rin von Gour­nia auf Kre­ta, Har­riet Boyd Hawes, vor­ge­stellt wer­den.

 

Har­riet Boyd wur­de 1871 in Bos­ton gebo­ren. Im Muse­um für Alte Kunst in Bos­ton, wo es eine der bes­ten Abguss­samm­lun­gen von grie­chi­schen und römi­schen Skulp­tu­ren in den USA gab, wur­de ihr Inter­es­se für alles Grie­chi­sche geweckt. Sie stu­dier­te Alte Spra­chen, beson­ders Grie­chisch, am Smith Col­lege in Nort­hamp­ton, Mas­sa­chu­setts. Nach Abschluss des Col­leges arbei­te­te Har­riet Boyd als Leh­re­rin. Um sich wei­ter zu qua­li­fi­zie­ren, beschloss sie, in Euro­pa Clas­si­cal Stu­dies (ent­spricht in etwa der Alt­phi­lo­lo­gie im deutsch­spra­chi­gen Raum) zu stu­die­ren. 1896 schrieb sie sich in der Ame­ri­can School of Clas­si­cal Stu­dies in Athen als Stu­den­tin ein. Das Aus­bil­dungs­prin­zip der Ame­ri­can School bestand dar­in, Vor­le­sun­gen mit mehr­tä­gi­gen Exkur­sio­nen zu ver­bin­den. Von die­sen Exkur­sio­nen wur­den Frau­en manch­mal aus­ge­schlos­sen, von Aus­gra­bun­gen immer. Im ers­ten Stu­di­en­jahr 1896/97 war Har­riet Boyd zusam­men mit einer wei­te­ren Stu­den­tin die ein­zi­ge Frau unter neun Stu­den­ten, im Stu­di­en­jahr 1898/99 waren unter 15 Student*innen vier Frau­en und im Stu­di­en­jahr 1899/1900 gab es acht Frau­en unter 15 Student*innen.

Auf mehr­tä­gi­gen Exkur­sio­nen such­te Har­riet Boyd nach einem geeig­ne­ten Ort, wo sie eine Aus­gra­bung eröff­nen und Mate­ri­al für ihre Abschluss­ar­beit sam­meln könn­te. Der Direk­tor der Ame­ri­can School hat­te aber das Vor­ur­teil, dass Frau­en für Aus­gra­bun­gen nicht geeig­net sei­en, wes­halb Har­riet Boyd gezwun­gen war, auf eige­ne Kos­ten eine Aus­gra­bung durch­zu­füh­ren. Ihre Wahl fiel schließ­lich auf Kavou­si in Kre­ta. 1900 gab es zwei Gra­bungs­kam­pa­gnen, bei der Har­riet Boyd Män­ner aus dem Dorf als Gra­bungs­hel­fer ein­stell­te. 1901 erhielt sie vom Smith Col­lege ihren Mas­ter­ti­tel für eine Arbeit über die eisen­zeit­li­chen Plät­ze in der Nähe des Dor­fes Kavou­si.

1901 woll­te Har­riet Boyd erneut auf Aus­gra­bung gehen. Wie­der­um auf Kre­ta such­te sie nach einem geeig­ne­ten Ort. Sie begann mit Aus­gra­bun­gen auf einem Hügel in der Nähe der Gour­nia-Bucht. Gour­nia erwies sich als eine minoi­sche Hand­wer­ker­sied­lung aus der Bron­ze­zeit, die heu­te als eine der wich­tigs­ten Fund­stät­ten im ägäi­schen Raum gilt. 1903 und 1904 erfolg­ten zwei wei­te­re Aus­gra­bungs­kam­pa­gnen. Zeit­wei­lig waren etwa 100 ein­hei­mi­sche Män­ner und elf ein­hei­mi­sche Frau­en als Grabungshelfer*innen von Har­riet Boyd ange­stellt. Ihr wis­sen­schaft­li­ches Gra­bungs­team bestand bis auf einen Mann aus Frau­en. Mit­hil­fe der Unter­su­chung wei­te­rer Fund­plät­ze gelang es Har­riet Boyd, eine Chro­no­lo­gie des bron­ze­zeit­li­chen Kre­ta auf­zu­stel­len. Arthur Evans, der Aus­grä­ber von Knos­sos auf Kre­ta seit dem Jahr 1900, kam ihr aller­dings zuvor, sei­ne eige­ne Chro­no­lo­gie des Gebiets auf einem Kon­gress vor­zu­stel­len, womit er als der Ers­te in die Geschich­te ein­ging, eine Chro­no­lo­gie die­ses Gebie­tes und die­ser Zeit der Öffent­lich­keit prä­sen­tiert zu haben.

Mit ihrer Hei­rat 1906 mit dem bri­ti­schen Anthro­po­lo­gen Charles Hawes und der Geburt von zwei Kin­dern gab sie ihre Kar­rie­re als Col­lege­leh­re­rin und Feld­ar­chäo­lo­gin auf. Aller­dings berei­te­te sie die Publi­ka­ti­on ihrer Aus­gra­bun­gen in Gour­nia vor, die 1908 erschien und als Mei­len­stein in der Prä­sen­ta­ti­on von archäo­lo­gi­schen Fun­den gilt.

1910 ver­lieh das Smith Col­lege Har­riet Boyd Hawes die Ehren­dok­tor­wür­de. Von 1920 bis 1936 unter­rich­te­te sie am Wel­les­ley Col­lege, Mas­sa­chu­setts, Alte Kunst vom Paläo­li­thi­kum bis zum frü­hen Chris­ten­tum. 1945 ist sie in Washing­ton D.C. gestor­ben.

Die Beschäf­ti­gung mit den Pio­nie­rin­nen der Dis­zi­plin Archäo­lo­gie kor­ri­giert nicht nur das Bild vom männ­li­chen Archäo­lo­gen, es lenkt auch den Blick auf die Inhal­te des Fachs und die kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit die­sen unter einer femi­nis­ti­schen Per­spek­ti­ve. Beson­ders mit der Zwei­ten Frau­en­be­we­gung ab den 1970er Jah­ren hat sich eine neue Sicht auf Wis­sen­schaft gebil­det, die sich mit Frau­en und ihren Erfah­run­gen und Lebens­wei­sen als Unter­su­chungs­ge­gen­stand beschäf­tigt. Vie­ler­orts wur­den andro­zen­tri­sche Ver­zer­run­gen auf­ge­deckt und alter­na­ti­ve Model­le ent­wor­fen, so auch in der Archäo­lo­gie, wo die archäo­lo­gi­sche Geschlech­ter­for­schung heu­te als ernst zu neh­men­de For­schungs­rich­tung gilt.

 

 

Die Aus­füh­run­gen zu Har­riet Boyd Hawes beru­hen auf dem Arti­kel:

Ulri­ke Ram­bu­scheck, Har­riet Ann Boyd Hawes und die Ent­de­ckung des minoi­schen Kre­ta. In: Jana Esther Fries/Doris Guts­miedl-Schüm­ann (Hrsg.), Aus­grä­be­rin­nen, For­sche­rin­nen, Pio­nie­rin­nen. Aus­ge­wähl­te Por­träts frü­her Archäo­lo­gin­nen im Kon­text ihrer Zeit. Frau­en – For­schung – Archäo­lo­gie 10 (Müns­ter 2013) 81–93.

 

Die Publi­ka­ti­on über Gour­nia lau­tet:

Har­riet A. Boyd Hawes/Blanche E. Williams/Richard B. Seager/Edith H. Hall, Gour­nia, Vasi­li­ki and Other Pre­his­to­ric Sites on the Isth­mus of Hie­ra­pe­tra (Phil­adel­phia 1908).

 

Lite­ra­tur zur archäo­lo­gi­schen Geschlech­ter­for­schung gibt es auf: https://femarc.de/blog/263-grundlagenliteratur.html

 

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Wie wir wurden, was wir sind – kleine Beitragsreihe zur Geschichte des Netzwerkes und der Geschlechterarchäologie

Autorin­nen: Jana Fries, Kers­tin Kowa­rik, Cla­ra Schal­ler und Susan­ne Moraw, Datum: 03.11.2020

 

Unser Netz­werk Fem­Arc wird nächs­tes Jahr drei­ßig Jah­re alt. In die­sen drei Jahr­zehn­ten hat sich viel in der (deutsch­spra­chi­gen) Archäo­lo­gie ver­än­dert und auch wir haben uns ent­wi­ckelt. Des­halb soll nächs­tes Jahr nicht nur zurück­ge­schaut und gefei­ert wer­den – das natür­lich auch. Wir wol­len dane­ben auch erneut grund­sätz­lich die Situa­ti­on von Geschlech­ter­the­men inner­halb der Archäo­lo­gie betrach­ten, unse­re Hal­tung, Über­zeu­gun­gen und Metho­den als Netz­werk reflek­tie­ren, unse­re Zie­le betrach­ten und, wo sinn­voll, ver­än­dern und ergän­zen. Wei­ter sol­len unse­re Struk­tu­ren, Kom­mu­ni­ka­ti­ons­we­ge und unser Wir­ken nach außen unter die Lupe genom­men wer­den.

Das ist eine umfang­rei­che Auf­ga­be, die nicht an einem Ter­min zu schaf­fen ist, son­dern einen län­ge­ren Pro­zess vor­aus­setzt. Wich­tig dabei wird unser für den Juni geplan­tes Tref­fen in Nürn­berg sein und wir hof­fen sehr, dass es wie vor­ge­se­hen statt­fin­den kann. Damit wir dort erfolg­reich sein kön­nen, ist sinn­voll, schon jetzt The­men zu benen­nen und uns die eige­nen Stand­punk­te bewusst zu machen.

Hilf­reich ist in sol­chen Zusam­men­hän­ge immer auch der Blick in die Ver­gan­gen­heit. Die Blog-Redak­ti­on möch­te des­halb eine klei­ne Rei­he von Bei­trä­gen zur Geschich­te und Ent­wick­lung unse­rer The­men und unse­rer Orga­ni­sa­ti­on ansto­ßen, mög­lichst mit Bli­cken von innen und außen.

Den Anfang macht Susan­ne Moraw mit einem Bericht über die Grün­dung. Vor­schlä­ge für wei­te­re The­men sind herz­lich will­kom­men.

Jana Fries, Kers­tin Kowa­rik und Cla­ra Schal­ler

 

Zur Grün­dung von Fem­Arc. Netz­werk archäo­lo­gisch arbei­ten­der Frau­en

Fem­Arc – oder wie es damals noch hieß: Netz­werk archäo­lo­gisch arbei­ten­der Frau­en – hat zwei Wur­zeln: Femi­nis­mus und Uni­ver­si­tät. Im Win­ter­se­mes­ter 1988/89 kam es auf­grund von schlech­ten Stu­di­en­be­din­gun­gen und Man­gel an stu­den­ti­scher Mit­be­stim­mung an vie­len west­deut­schen Hoch­schu­len zum UNi­MUT-Streik. Damit ver­bun­den waren zum Bei­spiel die Beset­zung von Insti­tu­ten durch Stu­die­ren­de, die Her­aus­ga­be von Streik­zeit­schrif­ten wie die Ber­li­ner Besetzt(<http://unimut.blogsport.de>) oder die Hei­del­ber­ger UNi­MUT (<https://www.uni-heidelberg.de/unimut/wir.html>) und die Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on von Lehr­ver­an­stal­tun­gen in so genann­ten auto­no­men Semi­na­ren. Zu den Merk­ma­len des UNi­MUT-Streiks gehör­ten wei­ter­hin eine star­ke weib­li­che Prä­senz und ein gewis­ses femi­nis­ti­sches Bewusst­sein.

All das hat­te Aus­wir­kun­gen auch auf die archäo­lo­gi­schen Fächer, vor allem auf die Ur- und Früh­ge­schich­te: An der Uni­ver­si­tät Tübin­gen ver­an­stal­te­ten zwei Stu­den­tin­nen ein Auto­no­mes Semi­nar zur femi­nis­ti­schen Geschichts­wis­sen­schaft; an der Uni­ver­si­tät Kiel grün­de­ten Stu­den­tin­nen eine Frau­en-AG. In bei­den Fäl­len ging es zunächst ein­mal dar­um, Grund­la­gen­li­te­ra­tur zur femi­nis­ti­schen Theo­rie und zur archäo­lo­gi­schen Frau­en- und Geschlech­ter­for­schung zu rezi­pie­ren und zu dis­ku­tie­ren. Ein wei­te­rer Schritt war, das Feh­len ent­spre­chen­der Fra­ge­stel­lun­gen in der Main­stream-Lite­ra­tur des Fachs zu kon­sta­tie­ren – ganz zu schwei­gen von feh­len­der Refle­xi­on über die Struk­tu­ren und geschlech­ter­spe­zi­fi­schen Macht­ver­hält­nis­se der wis­sen­schaft­li­chen Dis­zi­plin Ur- und Früh­ge­schich­te.

Um die­se Aspek­te in einem grö­ße­ren Rah­men zu dis­ku­tie­ren, wur­de im Janu­ar 1991 an der Uni­ver­si­tät Tübin­gen das Sym­po­si­on Femi­nis­mus & Archäo­lo­gie?! orga­ni­siert und noch im sel­ben Jahr im Selbst­ver­lag publi­ziert (<https://www.femarc.de/femarcedition/buecher/113-tuebingen.html>). Das Tübin­ger Sym­po­si­on war die Grün­dungs­ver­an­stal­tung von Fem­Arc. In der Abschluss­dis­kus­si­on wur­de von den Teil­neh­me­rin­nen der Beschluss zur Grün­dung eines Netz­werks archäo­lo­gisch arbei­ten­der Frau­en gefasst.

Als Zie­le und Auf­ga­ben wur­den damals defi­niert: die Anla­ge einer Adress­lis­te aller an Ver­net­zung inter­es­sier­ter Frau­en; die Anla­ge einer Lite­ra­tur­da­tei mit ein­schlä­gi­gen Wer­ken; die Ein­rich­tung eines Infor­ma­ti­ons­blatts ver­gleich­bar den damals gän­gi­gen Streik­zeit­schrif­ten; die Schaf­fung eines wis­sen­schaft­li­chen Dis­kus­si­ons­raums für Frau­en; die För­de­rung von dar­aus ent­stan­de­nen Publi­ka­tio­nen; das Zusam­men­füh­ren von uni­ver­si­tä­rer und außer­uni­ver­si­tä­rer femi­nis­ti­scher archäo­lo­gi­scher For­schung; und schließ­lich die Ent­ta­bui­sie­rung und Imple­men­tie­rung femi­nis­ti­scher archäo­lo­gi­scher For­schung an den Uni­ver­si­tä­ten. Die meis­ten der hier gesteck­ten Zie­le konn­ten im Ver­lauf der fol­gen­den Jah­re umge­setzt wer­den. Das wäre das The­ma für einen ande­ren Blog.

Susan­ne Moraw

Der Text ist ein Aus­zug aus dem Auf­satz Fem­Arc. Netz­werk archäo­lo­gisch arbei­ten­der Frau­en e.V. – die ers­ten 25 Jah­re, der dem­nächst im Tagungs­band zur Tagung zum 25-jäh­rin­gen Bestehen von Fem­Arc – Netz­werk archäo­lo­gisch arbei­ten­der Frau­en e.V. erschei­nen wird.

 

 

 

 

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