2023: Rezension Katharina Wesselmann, Die abgetrennte Zunge. Sex und Macht in der Antike neu lesen.

2023: Rezension Katharina Wesselmann, Die abgetrennte Zunge. Sex und Macht in der Antike neu lesen.

Rezension: Katharina Wesselmann, Die abgetrennte Zunge. Sex und Macht in der Antike neu lesen.

 Autorin: Ulri­ke Ram­bu­scheck, Datum: 02.10.2023

Katha­ri­na Wes­sel­mann, Die abge­trenn­te Zun­ge. Sex und Macht in der Anti­ke neu lesen. wbg Theiss (Darm­stadt 2021). 223 Sei­ten, 13 Abbil­dun­gen.

Was haben Incels und Rap­per mit der Anti­ke zu tun? Eini­ge ihrer miso­gy­nen Äuße­run­gen und gewalt­tä­ti­gen Inhal­te haben ihre Wur­zeln in der anti­ken Lite­ra­tur. Die Par­al­le­len zu eini­gen Dich­tern wie Catull oder Ovid sind so auf­fäl­lig, dass man mei­nen könn­te, sie hät­ten sie gele­sen, was aber eher unwahr­schein­lich ist. Wie kommt es dann zu die­sen frap­pie­ren­den Ähn­lich­kei­ten? Hin­ter die­ses Geheim­nis nimmt uns die Alt­phi­lo­lo­gin Katha­ri­na Wes­sel­mann mit auf eine lite­ra­ri­sche Rei­se in die Anti­ke. In neun Kapi­teln wird von einem aktu­el­len miso­gy­nen Ereig­nis der Gegen­wart aus nach den anti­ken Wur­zeln die­ses Phä­no­mens gefahn­det. Dies ist sehr erstaun­lich, da wir doch meis­tens davon aus­ge­hen, dass die Anti­ke die Wie­ge von so posi­ti­ven Sachen wie Demo­kra­tie, Phi­lo­so­phie oder Recht­spre­chung ist, von der unse­re abend­län­di­sche Kul­tur bis heu­te tief beein­flusst ist. Doch die Anti­ke ist auch die Wie­ge des Patri­ar­chats, der Miso­gy­nie und der Gewalt gegen Frau­en und alle Men­schen, die kei­ne männ­li­chen Bür­ger waren. Die­sen Bogen von der Anti­ke zu Phä­no­me­nen unse­rer heu­ti­gen west­li­chen Welt zu schla­gen, macht für mich den Reiz des Buches aus. Plötz­lich erschei­nen auch so unschul­di­ge Din­ge wie Vasen­ma­le­rei­en in einem ganz neu­en Licht.
Die Band­brei­te der The­men reicht von „Erzähl­te Frau­en“, bei dem Frau­en aus einer männ­li­chen Per­spek­ti­ve beschrie­ben wer­den, über die Dar­stel­lung von mäch­ti­gen Frau­en, die in der Öffent­lich­keit stan­den, bis zu den häss­li­chen Frau­en, die nicht ins anti­ke Schön­heits­ide­al pass­ten. Wei­te­re Kapi­tel beschäf­ti­gen sich mit den Grau­sam­kei­ten gegen Frau­en, denen wir in den Mythen begeg­nen, wie Ver­ge­wal­ti­gun­gen und ver­such­te sexu­el­le Über­grif­fe, sowie mit Ver­ge­wal­ti­gun­gen in der Ehe, wie sie aus Komö­di­en (!) bekannt sind. In einem Kapi­tel wird auf Män­ner als Opfer ein­ge­gan­gen, denn nur erwach­se­ne freie Bür­ger waren sicher vor sexu­el­ler Gewalt, für Skla­ven oder sehr jun­ge Män­ner galt dies häu­fig nicht. In einem wei­te­ren Kapi­tel wird die latei­ni­sche Lie­bes­ele­gie vor­ge­stellt und wie sie bis heu­te unse­re Vor­stel­lun­gen von geglück­ten Lie­bes­be­zie­hun­gen beein­flusst, meis­tens mit eher nega­ti­ven Fol­gen für die Frau­en. Damit eng ver­bun­den ist die Idee der roman­ti­schen Lie­be in der anti­ken Lite­ra­tur und ihre fata­len Aus­wir­kun­gen auf Frau­en. In einem Kapi­tel wird auf die Obs­zö­ni­tät und Gewalt­ver­herr­li­chung von eini­gen Gedich­ten Catulls und sei­ner Dich­ter­kol­le­gen ein­ge­gan­gen.
Dür­fen sol­che Tex­te heu­te noch gele­sen wer­den? Die Autorin sagt ganz klar Ja, aber sie müs­sen kon­tex­tua­li­siert wer­den. Dann kön­nen sie uns viel über die anti­ken Struk­tu­ren und Macht­ver­hält­nis­se sagen und dar­über hin­aus auch Phä­no­me­ne unse­rer eige­nen Gegen­wart bes­ser ver­ste­hen hel­fen, deren Ursprün­ge in der Anti­ke lie­gen. Des­halb kann ich das Buch allen emp­feh­len, die an sol­chen Lini­en zwi­schen Anti­ke und Gegen­wart inter­es­siert sind. Das Buch ist flüs­sig und span­nend geschrie­ben. Es basiert auf einer Vor­le­sung an der Chris­ti­an-Albrechts-Uni­ver­si­tät zu Kiel, wo die Autorin Pro­fes­so­rin für Fach­di­dak­tik der Alten Spra­chen ist. Den­noch ist es für ein brei­te­res Publi­kum geeig­net. Abge­run­det wird es durch ein Regis­ter der im Text genann­ten anti­ken Autor*innen (Sap­pho ist die ein­zi­ge Dich­te­rin) mit ihren Lebens­da­ten sowie die Biblio­gra­fie.

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2023: Rezension Marylène Patou-Mathis, Weibliche Unsichtbarkeit. Wie alles begann.

2023: Rezension Marylène Patou-Mathis, Weibliche Unsichtbarkeit. Wie alles begann.

Rezension: Marylène Patou-Mathis, Weibliche Unsichtbarkeit. Wie alles begann.

 Autorin: Ulri­ke Ram­bu­scheck, Datum: 02.10.2023

Marylè­ne Patou-Mathis, Weib­li­che Unsicht­bar­keit. Wie alles begann. Aus dem Fran­zö­si­schen von Ste­pha­nie Singh. Han­ser Ver­lag, Mün­chen 2021. Ori­gi­nal: L’homme pré­his­to­ri­que est aus­si une femme. Une his­toire de l’invisibilité des femmes. All­ary Edi­ti­on, Paris, 2020. 286 Sei­ten.

Die fran­zö­si­sche Ur- und Früh­ge­schicht­le­rin Marylè­ne Patou-Mathis legt hier ein Buch vor, das laut Klap­pen­text den prä­his­to­ri­schen Frau­en den ihnen gebüh­ren­den Platz in der Geschich­te ein­räu­men will.
In der Ein­lei­tung wird betont, dass die alten Kli­schees der jagen­den Män­ner und in den Höh­len häus­li­che Arbei­ten ver­rich­ten­den Frau­en nicht mehr gel­ten, da sie durch „[n]eue Ana­ly­se­te­chi­ken archäo­lo­gi­scher Relik­te, jüngs­te Ent­de­ckun­gen mensch­li­cher Fos­si­li­en und die Ent­wick­lung der Geschlech­ter­ar­chäo­lo­gie“ ent­kräf­tet wor­den sei­en (S. 9). Ziel des Buches ist es „ (…) Ant­wor­ten auf die Fra­ge nach der Geschich­te der Frau­en in den urge­schicht­li­chen Gesell­schaf­ten zuta­ge zu för­dern“ (S. 13).

Im ers­ten Kapi­tel „Die prä­his­to­ri­sche Frau in der Lite­ra­tur“ geht es erst­mal um Skulp­tu­ren und Gemäl­de aus dem 19. und dem Anfang des 20. Jahr­hun­derts, die Urmen­schen dar­stel­len, wie sie damals gese­hen wur­den: Frau­en und Kin­der erwar­te­ten in der Höh­le die Rück­kehr der Män­ner von der Jagd. Hier ist es sehr bedau­er­lich, dass es kei­ne Abbil­dun­gen gibt. In Roma­nen bis in die 1930er-Jah­re wur­den Frau­en nur kli­schee­haft geschil­dert. In Fil­men der 1960er-Jah­re muss­ten sie haupt­säch­lich für Män­ner sexy sein.
Im Unter­ka­pi­tel „Waren unse­re Vor­fah­ren von Natur aus gewalt­tä­tig?“ geht es um die Vor­stel­lun­gen einer gewalt­vol­len Ver­gan­gen­heit, wie sie in Roma­nen und Kunst­wer­ken des 19. Jahr­hun­derts zum Aus­druck kommt. Aus die­ser Zeit stammt das Ste­reo­typ des tier­fell­tra­gen­den, keu­len­schwin­gen­den Man­nes, der sich gegen eine feind­li­che Natur erweh­ren muss und rie­si­ge Beu­te­tie­re wie Mam­muts jagt. Archäo­lo­gi­sche Fun­de geben aber eher Hin­wei­se auf Gewalt ab dem Neo­li­thi­kum oder der Bron­ze­zeit. Die Autorin zieht dar­aus den Schluss, dass das Geschlech­ter­ver­hält­nis in der Alt­stein­zeit noch aus­ge­gli­chen war und „[d]ie Unter­wer­fung der Frau­en (…) jün­ge­ren Datums (ist) und (…) auf die Errich­tung des patri­ar­cha­len Sys­tems (folgt) …“ (S. 22). Im Unter­ka­pi­tel „Frau­en­raub“ wird dar­über spe­ku­liert, ob die Urmen­schen Frau­en­raub oder doch eher Frau­en­tausch betrie­ben hät­ten.

Im Kapi­tel „Die Ent­ste­hung der Urge­schich­te als wis­sen­schaft­li­che Dis­zi­plin“ sol­len die Bestand­tei­le unse­res kul­tu­rel­len Erbes unter­sucht wer­den, die die wis­sen­schaft­li­che Beschäf­ti­gung mit der Urge­schich­te beein­flusst haben. Es geht um die Grün­de, wes­halb in der west­lich-abend­län­di­schen Kul­tur die Frau­en als den Män­nern unter­le­ge­ne Wesen auf­ge­fasst wer­den. Dazu wer­den Dis­kur­se aus Reli­gi­on, Phi­lo­so­phie, Medi­zin und – seit dem 18. Jahr­hun­dert – den neu­en Wis­sen­schaf­ten vom Men­schen (Anthro­po­lo­gie, „Schä­del­kun­de“, „Ras­sen­kun­de“) her­an­ge­zo­gen, die alle­samt die Frau­en nega­tiv bewer­te­ten.

Im Kapi­tel „Die prä­his­to­ri­sche Frau im Licht neu­er Erkennt­nis­se der Geschlech­ter­ar­chäo­lo­gie“ geht es in zwei Unter­ka­pi­teln um „Frau­en im Paläo­li­thi­kum“ und um „Frau­en im Neo­li­thi­kum und in der Metall­zeit“. Im ers­ten Unter­ka­pi­tel wird haupt­säch­lich die Kunst des Jung­pa­läo­li­thi­kums mit sei­nen Höh­len­ma­le­rei­en und Sta­tu­et­ten vor­ge­stellt. Hier zeigt sich beson­ders deut­lich, wie wich­tig Abbil­dun­gen gewe­sen wären. Die Frau­en­sta­tu­et­ten wer­den lei­der immer als „Venus­fi­gu­ren“ bezeich­net, obwohl in einer Fuß­no­te dar­auf hin­ge­wie­sen wird, dass die­se Bezeich­nung unan­ge­mes­sen ist. Es wird noch auf die Tätig­kei­ten und die kör­per­li­che Ver­fas­sung von alt­stein­zeit­li­chen Frau­en, auf Patri- oder Matri­lo­ka­li­tät (für die Autorin gab es Patri­lo­ka­li­tät bereits bei den Nean­der­ta­lern, die sie als Zwang gegen­über den Frau­en ansieht) und auf Bestat­tun­gen ein­ge­gan­gen, bevor sich der Fra­ge zuge­wen­det wird, ob es matri­ar­cha­le Gesell­schaf­ten gege­ben habe und wenn ja, ab wann. Für die heu­ti­ge Zeit wer­den Matri­ar­cha­te bestrit­ten (S. 123; auf Sei­te 192 aller­dings wird das Gegen­teil behaup­tet). Für paläo­li­thi­sche Gesell­schaf­ten kon­sta­tiert die Autorin zum Schluss die­ses Unter­ka­pi­tels, dass die­se matri­li­ne­ar orga­ni­siert oder die Geschlech­ter­ver­hält­nis­se gleich­be­rech­tigt gewe­sen sei­en.
Das Unter­ka­pi­tel „Frau­en im Neo­li­thi­kum und in der Metall­zeit“ fragt danach, ob sich der Sta­tus von Frau­en im Neo­li­thi­kum ver­bes­sert oder ver­schlech­tert habe. Nach Abwä­gen eini­ger Mei­nun­gen kommt die Autorin zu kei­nem ein­deu­ti­gen Ergeb­nis. Es wird kon­sta­tiert, dass die Situa­ti­on von Frau­en je nach Gebiet und ihrer gesell­schaft­li­chen Posi­ti­on unter­schied­lich war. Dann wird auf die Ama­zo­nen der grie­chi­schen Sage und ihrer mög­li­chen Ver­bin­dung zu sky­thi­schen Krie­ge­rin­nen­grä­bern ein­ge­gan­gen. Danach wird auf die vie­len Frau­en­dar­stel­lun­gen ein­ge­gan­gen, die oft als Frucht­bar­keits- oder Mut­ter­göt­tin­nen gedeu­tet wer­den. Nach die­sen neo­li­thi­schen Frau­en­dar­stel­lun­gen wer­den weib­li­che Gott­hei­ten in den anti­ken Hoch­kul­tu­ren behan­delt.

Im vier­ten Kapi­tel „Ewi­ge Rebel­lin­nen“ wer­den gro­ße Frau­en­per­sön­lich­kei­ten und Ent­wick­lun­gen, die Frau­en betra­fen oder an denen sie Anteil hat­ten, von der Anti­ke bis ins 20. Jahr­hun­dert vor­ge­stellt.

Das Nach­wort „Frau­en und Femi­nis­mus – ges­tern und heu­te“ ist ein lei­den­schaft­li­cher Appell für die Rech­te der Frau­en in der heu­ti­gen Gesell­schaft wie in der Geschich­te. Beson­ders das Patri­ar­chat müs­se als das erkannt wer­den, was es sei: „eine Denk- und Hand­lungs­form, die eine auf Geschlech­ter­bi­na­ri­tät und Geschlech­ter­hier­ar­chie fußen­de Ord­nung schafft“ (S. 192). Im Fol­gen­den wer­den Unge­rech­tig­kei­ten, unter denen bis heu­te Frau­en lei­den, auf­ge­zählt wie Unter­re­prä­sen­ta­ti­on von Frau­en in Füh­rungs­po­si­tio­nen und in der Wis­sen­schaft, Sexis­mus in den Medi­en, geschlech­ter­spe­zi­fi­sche Erzie­hung, die Jun­gen gegen­über Mäd­chen bevor­zugt, oder Mas­ku­li­ni­sie­rung der Spra­che. Statt wie jahr­hun­der­te­lang Frau­en wei­ter­hin in kul­tu­rell vor­ge­ge­be­ne Rol­len zu zwin­gen, soll­te das Patriachat über­wun­den und die Kom­ple­men­ta­ri­tät der Geschlech­ter ange­strebt wer­den.

Für mich stellt sich nach der Lek­tü­re die­ses Buches beson­ders die Fra­ge, für wen es geschrie­ben ist? Nach Auf­ma­chung und Klap­pen­text des Buches wohl eher für ein grö­ße­res Publi­kum. Die Autorin ist Ur- und Früh­ge­schicht­le­rin und ein Vier­tel des Buches sind Anmer­kun­gen, eigent­lich gute Vor­aus­set­zun­gen für eine soli­de wis­sen­schaft­li­che Arbeit. Lei­der hat es die Autorin aber nicht geschafft, das Mate­ri­al in ange­mes­se­ner Wei­se zu prä­sen­tie­ren: Nur sel­ten ist ein roter Faden zu erken­nen, zu oft schwankt die Argu­men­ta­ti­on hin und her, ohne zu einem Ergeb­nis zu kom­men. Wie schon bei der Beschrei­bung der ein­zel­nen Kapi­tel deut­lich gewor­den sein soll­te, hal­ten die Über­schrif­ten oft nicht, was sie erwar­ten las­sen. Aus all die­sen Grün­den blei­ben Lai*innen rat­los zurück und für Fachwissenschaftler*innen ist es ein gro­ßes Durch­ein­an­der.
Begrif­fe wie Gen­der, Geschlech­ter­rol­len, die Gen­der­theo­rie, Geschlech­ter­ar­chäo­lo­gie und femi­nis­ti­sche Archäo­lo­gie wer­den ver­wen­det, ohne die­se genau zu erklä­ren; Glei­ches gilt für archäo­lo­gi­sche Fach­be­grif­fe. Hier wäre ein Glos­sar sinn­voll gewe­sen.
Und dann die Fra­ge, was soll­te eigent­lich ver­mit­telt wer­den? Der Inhalt geht weit über die Archäo­lo­gie hin­aus. Es han­delt sich eher um eine Geschich­te der Frau­en von der Alt­stein­zeit bis heu­te.
Neben die­sen inhalt­li­chen Kri­tik­punk­ten gibt es noch eine Rei­he von for­ma­len Unzu­läng­lich­kei­ten. Neben, wie schon erwähnt, feh­len­den Bil­dern und einem Glos­sar ist das Buch teil­wei­se schlecht über­setzt: Im Deut­schen gibt es weder „Urhis­to­ri­ker“ noch „Wild- und Feld­beu­ter“, noch eine „Ursün­de“.
Als ein­zi­ger posi­ti­ver Punkt ist die Nen­nung von fran­zö­si­scher Lite­ra­tur anzu­füh­ren, die in der deut­schen ur- und früh­ge­schicht­li­chen For­schung wenig rezi­piert wird.
Als Fazit bleibt, dass ich das Buch nicht emp­feh­len kann. Hier ist eine Chan­ce ver­tan wor­den, die archäo­lo­gi­sche Geschlech­ter­for­schung einem grö­ße­ren Publi­kum vor­zu­stel­len und Fachwissenschaftler*innen mit den neu­es­ten Erkennt­nis­sen bekannt zu machen.

Wer als fach­frem­de Per­son etwas über die Arbeits­wei­se der Geschlech­ter­ar­chäo­lo­gie wis­sen möch­te, soll­te lie­ber auf das Buch von Mar­ga­ret Ehren­berg „Die Frau in der Vor­ge­schich­te“ von 1992 zurück­grei­fen. Die Vor­ge­hens­wei­se der archäo­lo­gi­schen Geschlech­ter­for­schung wird hier klar struk­tu­riert erklärt und an Bei­spie­len erläu­tert, die nichts an Aktua­li­tät ver­lo­ren haben. Auch die zwei Aus­stel­lungs­ka­ta­lo­ge „Frau­en – Zei­ten – Spu­ren“, Kata­log Aus­stel­lung Mett­mann (1998 her­aus­ge­ge­ben von Bär­bel Auf­fer­mann und Gerd C. Weni­ger) und „Ich Mann. Du Frau. Fes­te Rol­len seit Urzei­ten?“ Begleit­buch zur Aus­stel­lung des Archäo­lo­gi­schen Muse­ums Colom­bischlöss­le (2014 her­aus­ge­ge­ben von Bri­git­te Röder) sind ein guter Ein­stieg ins The­ma. Als kri­ti­sche Stim­me zur soge­nann­ten Matri­ar­chats­for­schung sei auf das Buch „Göt­tin­nen­däm­me­rung. Das Matri­ar­chat aus archäo­lo­gi­scher Sicht“ von Bri­git­te Röder, Julia­ne Hum­mel und Bri­git­ta Kunz aus dem Jahr 1996 hin­ge­wie­sen, das sich eben­falls eher an ein brei­te­res Publi­kum wen­det, ohne fach­li­che Abstri­che zu machen.

 

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Nachruf Prof. Dr. Frauke Stein

Nachruf Prof. Dr. Frauke Stein

Frauke Stein verstorben

 Autorin: Michae­la Helm­brecht, Datum: 05.08.2023

Das Fem­Arc-Netz­werk erreich­te die trau­ri­ge Nach­richt, dass am 7. Juli 2023 unse­re Mit­frau Prof. Dr. Frau­ke Stein im Alter von 87 Jah­ren ver­stor­ben ist.

Frau­ke Stein stu­dier­te ab 1955 Ur- und Früh­ge­schich­te in Ham­burg und Mün­chen. Zu ihren aka­de­mi­schen Leh­rern gehör­ten Hans Jür­gen Eggers und Joa­chim Wer­ner. Ihre Dis­ser­ta­ti­on zu den Adels­grä­bern des 8. Jahr­hun­derts in Deutsch­land, die 1967 in der Rei­he Ger­ma­ni­sche Denk­mä­ler der Völ­ker­wan­de­rungs­zeit erschien, gilt bis heu­te als Mei­len­stein der For­schung. Nach ihrer Pro­mo­ti­on erhielt sie das Rei­se­sti­pen­di­um des Deut­schen Archäo­lo­gi­schen Insti­tuts, das ihr die Türen zu einer aka­de­mi­schen Lauf­bahn öff­ne­te.

1964 hol­te Rolf Hach­mann sie als wis­sen­schaft­li­che Assis­ten­tin nach Saar­brü­cken ans Insti­tut für Vor- und Früh­ge­schich­te der Uni­ver­si­tät des Saar­lan­des. Zwi­schen 1967 und 1969 schrieb sie dort ihre Habi­li­ta­ti­ons­schrift zu den bron­ze­zeit­li­chen Hort­fun­den in Süd­deutsch­land. Es folg­te 1970 die Hoch­schul­do­zen­tur und ab 1973 eine C3-Pro­fes­sur an der Uni­ver­si­tät des Saar­lan­des.

Frau­ke Stein war eine jener weni­gen Archäo­lo­gin­nen, denen es gelang, in der frü­hen Bun­des­re­pu­blik erfolg­reich eine aka­de­mi­sche Lauf­bahn ein­zu­schla­gen und bis zur ordent­li­chen Pro­fes­sur auf­zu­stei­gen.

Frau­ke Stein enga­gier­te sich an der Uni­ver­si­tät des Saar­lan­des auch als Frau­en­be­auf­trag­te. Im Jah­re 2001 ging sie in den Ruhe­stand. Noch bis kurz vor ihrem Tod war Frau­ke Stein wis­sen­schaft­lich tätig. 2007 trat sie dem Ver­ein Fem­Arc – Netz­werk archäo­lo­gisch arbei­ten­der Frau­en e. V. bei, und blieb bis zu ihrem Tod Mit­frau.

Unse­re Gedan­ken sind bei den Hin­ter­blie­be­nen und Ange­hö­ri­gen. Möge sie in Frie­den ruhen.

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Jagende Frauen – noch im Jahr 2023 eine Sensation!?

Jagende Frauen – noch im Jahr 2023 eine Sensation!?

 Autorin: Michae­la Helm­brecht, Datum: 05.07.2023

In den letz­ten Tagen ging eine „Sen­sa­ti­ons­mel­dung“ durch die Medi­en: Eine Stu­die, die zahl­rei­che eth­no­gra­phi­sche Stu­di­en aus­wer­tet, ist zu dem Ergeb­nis gekom­men, dass in rezen­ten Gesell­schaf­ten, deren Substis­tenz auf Jagd und Sam­meln beruht, durch­aus auch Frau­en jag(t)en. Huch – da ent­puppt sich doch tat­säch­lich das lieb­ge­won­ne­ne Bild des jagen­den Man­nes und der sam­meln­den Frau als Ste­reo­typ! Für mich als Frau, die sich seit Jah­ren mit geschlechts­be­zo­ge­nen Ste­reo­ty­pen beschäf­tigt, ist das kei­ne gro­ße Über­ra­schung. Eher wun­de­re ich mich ein wenig, dass die­ses The­ma tat­säch­lich so ein Auf­re­ger ist.

Aber wor­um geht es in der Stu­die?

Die Autorin­nen und Autoren, die ihre Meta-Stu­die „The Myth of Man the Hun­ter: Women’s con­tri­bu­ti­on to the hunt across eth­no­gra­phic con­texts“ in der Open-Access-Zeit­schrift Plos one ver­öf­fent­licht haben, haben zahl­rei­che eth­no­gra­phi­sche Stu­di­en der letz­ten hun­dert Jah­re zusam­men­ge­tra­gen und fest­ge­stellt, dass in 79 % Pro­zent der Gesell­schaf­ten, über die Anga­ben zur Jagd vor­han­den sind, Frau­en aktiv und vor­sätz­lich auf die Jagd gegan­gen sind, auch auf Groß­wild. Sie ver­bin­den die­se Erkennt­nis mit archäo­lo­gi­schen Fun­den aus der Zeit vor der Sess­haft­wer­dung, die eben­falls nahe­le­gen, dass die Jagd kei­ne aus­schließ­li­che Domä­ne der Män­ner war. Den­noch wur­de lan­ge Zeit sowohl in der Eth­no­gra­phie als auch in der Archäo­lo­gie in der Regel davon aus­ge­gan­gen, dass es eine strik­te Auf­tei­lung gab: die Män­ner jag­ten und die Frau­en sam­mel­ten. Aus­nah­men bestä­tig­ten nur die Regel.

Mit die­ser Meta-Stu­die, die zwar nichts grund­le­gend Neu­es prä­sen­tiert, aber gro­ße Auf­merk­sam­keit in den Medi­en erfah­ren hat, könn­te nun immer­hin ein Schritt getan sein, dass sich das hart­nä­cki­ge Bild der geschlechts­spe­zi­fi­schen Arbeits­tei­lung in der Stein­zeit end­lich aus den Köp­fen ver­ab­schie­det. Solan­ge aber in Schul­bü­chern immer noch behaup­tet wird, dass die Jagd Män­ner­sa­che war, wird sich lei­der auch die­ses Ste­reo­typ nicht so leicht aus der Welt schaf­fen las­sen.

Hier lässt sich die Stu­die lesen:

https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0287101

Cita­ti­on: Ander­son A, Chil­c­zuk S, Nel­son K, Ruther R, Wall-Scheff­ler C (2023) The Myth of Man the Hun­ter: Women’s con­tri­bu­ti­on to the hunt across eth­no­gra­phic con­texts. PLoS ONE 18(6): e0287101. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0287101

 

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Ausstellungsrezension zu zwei Ausstellungen im Kestner-Museum Hannover

Ausstellungsrezension zu zwei Ausstellungen im Kestner-Museum Hannover

Personaggi | Persönlichkeiten und Ein gut Theil Eigenheit

 Autorin: Ulri­ke Ram­bu­scheck, Datum: 14.06.2023

Gleich­zei­tig, vom 18.05. bis zum 03.09.2023, fin­den im Kest­ner-Muse­um in Han­no­ver zwei Aus­stel­lun­gen zu Rol­len von Frau­en in der Archäo­lo­gie statt. „Per­son­ag­gi | Per­sön­lich­kei­ten. Der Abstieg der Mäd­chen von den Vasen“ beschäf­tigt sich mit den Rol­len von Frau­en und Män­nern in der grie­chi­schen Anti­ke des 5. Jahr­hun­derts v. Chr., „Ein gut Theil Eigen­heit. Lebens­we­ge frü­her Archäo­lo­gin­nen“ ist eine Wan­der­aus­stel­lung von Akt­Ar­cha.

Per­son­ag­gi ist zwei­ge­teilt: Im ers­ten Teil wird auf ein­zel­ne Aspek­te des Lebens von Bür­ge­rin­nen und Bür­gern bzw. nur Frau­en im anti­ken Athen ein­ge­gan­gen: Die Polis, Frau­en- und Män­ner­ar­beit auf dem Feld und im Gar­ten, Frau­en im Kult, Kör­per­er­zie­hung, Tex­til­ar­beit, Brun­nen­haus und Grab­mä­ler, Ehe­frau­en und Hetä­ren, Hei­rat, Frau­en und Krieg. Kur­ze Tex­te erläu­tern die ver­schie­de­nen Rol­len von Frau­en und Män­nern in die­sen Berei­chen, die durch archäo­lo­gi­sche Zeug­nis­se wie Vasen, Gem­men und Sta­tu­et­ten anschau­lich gemacht wer­den. In einem zwei­ten Teil der Aus­stel­lung hat sich die Künst­le­rin Lin­de Burk­hardt der jun­gen Frau­en der anti­ken Vasen ange­nom­men und „ent­lässt“ sie aus ihren Vasen­bil­dern. Dazu hat sie Kopien der ori­gi­na­len Vasen geschaf­fen, auf denen aber die Frau­en und Mäd­chen feh­len. Die jun­gen Frau­en und Mäd­chen sind nun klei­ne Bron­ze­fi­gu­ren gewor­den, die mit­ein­an­der in neu­en Situa­tio­nen inter­agie­ren. Die Künst­le­rin hat die­sen Figu­ren Namen gege­ben und lässt sie in einem Hör­stück über­le­gen, was sie außer­halb ihrer ange­stamm­ten Berei­che nun alles unter­neh­men könn­ten.

Die zwei­te Aus­stel­lung „Ein gut Theil Eigen­heit“ wird den meis­ten Mit­frau­en von Fem­Arc vom Namen sicher­lich bekannt sein. Es han­delt sich um eine Sta­ti­on die­ser Wan­der­aus­stel­lung zu frü­hen Archäo­lo­gin­nen, die bereits in Frank­furt und Bonn zu sehen war. Hier in Han­no­ver ist sie um zwei Archäo­lo­gin­nen mit Bezug zum Kest­ner-Muse­um erwei­tert wor­den. Die Kern­aus­stel­lung stellt neun Archäo­lo­gin­nen vor. Posi­tiv ist gleich zu Anfang fest­zu­stel­len, dass es sich nicht, wie häu­fig bei Wan­der­aus­stel­lun­gen, um eine text­las­ti­ge Aus­stel­lung han­delt, son­dern die ein­zel­nen Frau­en wer­den jeweils auf einem Ban­ner mit einem Foto und einem kur­zen Text vor­ge­stellt. Zur Ver­tie­fung liegt eine Art groß­for­ma­ti­ges Buch in Deutsch und Eng­lisch auf einem Lese­pult vor jedem Ban­ner aus. Die­ses Buch ist sehr schön mit Bil­dern und kur­zen Tex­ten gestal­tet. Eine Zeit­leis­te zeigt schnell die wich­tigs­ten Lebens­sta­tio­nen der jewei­li­gen Archäo­lo­gin. So ergibt sich eine gute Vor­stel­lung von der Tätig­keit die­ser Frau­en auch ohne Objek­te. Die zwei zusätz­li­chen Archäo­lo­gin­nen wer­den klas­sisch in Vitri­nen mit Objek­ten vor­ge­stellt, und zwar Hed­wig Küth­mann (1892–1967), eine klas­si­sche Archäo­lo­gin, deren Mann, der Ägyp­to­lo­ge Carl Küth­mann, Direk­tor des Kest­ner-Muse­ums war, und Irm­gard Wol­de­ring (1919–1969), Ägyp­to­lo­gin, die von 1955 bis zu ihrem frü­hen Tod Direk­to­rin die­ses Muse­ums war.

Es han­delt sich um zwei klei­ne, aber doch fei­ne Aus­stel­lun­gen zum The­ma Geschlech­ter­rol­len in der Archäo­lo­gie, ein­mal auf der Ebe­ne einer ver­gan­ge­nen Kul­tur und ein­mal auf der Ebe­ne der Erfor­schung von Ver­gan­gen­heit, die bei­de emp­feh­lens­wert sind. Ich per­sön­lich kann mit dem künst­le­ri­schen Teil der Per­son­ag­gi-Aus­stel­lung nicht so viel anfan­gen, ich emp­fin­de sie als ahis­to­risch, aber da bin ich viel­leicht zu sehr Wis­sen­schaft­le­rin.

Zu bei­den Aus­stel­lun­gen wer­den Füh­run­gen ange­bo­ten. Ab August gibt es ein Vor­trags­pro­gramm.

Infor­ma­tio­nen zum Muse­um und den Füh­run­gen unter: www.museum-august-kestner.de.

 

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Nachruf Prof. Dr. Frauke Stein

Fund von Frauenfigürchen aus der Ukraine

Fund von Frauenfigürchen aus der Ukraine

 Autorin: Sibyl­le Käst­ner, Datum: 30.05.2023

In der Ver­te­ba­höh­le in der West­ukrai­ne wur­den fünf Frau­en­fi­gür­chen der Cucu­te­ni-Tri­pol­je-Kul­tur gefun­den. Ein wei­ter­füh­ren­der Arti­kel dazu fin­det sich unter die­sem Link: https://arkeonews.net/5000-year-old-female-figurines-found-in-a-ukrainian-cave/

 

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